Eric Kressnig. Ein Werk – kein Bild

Von Angela Stief

 Ferner ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers der Nabel. Liegt nämlich ein Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und die Zehenspitzen berührt. Ebenso, wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur eines Quadrats an ihm finden. Wenn man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel Maß nimmt und wendet dieses Maß auf die ausgestreckten Hände an, so wird sich die gleiche Breite und Höhe ergeben, wie bei Flächen, die nach dem Winkelmaß quadratisch angelegt sind.“

Vitruv

 

Eric Kressnigs Kunstwerke, die in der Tradition des US-amerikanischen Minimalismus der 1960er-Jahre stehen, stellen die Relationalität von Körpern demonstrativ zur Schau: Die Höhe beziehungsweise Breite von Arbeiten wie „Timber“ (2017) und „#kressnig“(2018), die in der Ausstellung im Bildraum07 präsentiert sind, ist 195 Zentimeter. Das entspricht exakt der Größe des Künstlers. Man denkt zwangsläufig an den homo vitruvianus der Antike, also die Darstellung des Menschen, der mit ausgestreckten Extremitäten in geometrische Formen – Kreis und Quadrat – eingepasst ist. 1490, zum Höhepunkt der Renaissance, berief sich Leonardo da Vinci in einigen Zeichnungen auf diese antike Konstruktion, die den menschlichen Körper normierte und das Subjekt einem objektiv-rationalen Ideal unterordnete. Mit dem Aufkeimen des erkennenden Ichs entstand damals auch die Idee der Autorschaft wie sie bis heute weitestgehend besteht. Der Künstler thematisiert mit dem Titel „#kressnig“ selbstverständlich auch seine Urheberschaft. Er passt sich allerdings nicht der Form an, da er den Richtwert anhand des eigenen Körpermaßes selbst bestimmt. Man könnte diese Arbeit, die einen Hashtag aus Holz darstellt, auch als ein untypisches Selbstporträt bezeichnen. Kressnig bezieht sich damit auch auf den aktuellen Kult rund um die sozialen Medien wie Instagram, doch geht es ihm weder um eine Auseinandersetzung mit den narzisstischen Selbstbespiegelungsattitüden der Gegenwart, noch um die Bewerbung des eigenen Oeuvres, stattdessen hält er der zunehmenden Digitalität der virtuellen Kommunikationstechnologien die konkrete Wahrnehmung und die Taktilität der Kunst entgegen.

Indem Eric Kressnig in seinem Werk Räume und Körper in ein Verhältnis zueinander setzt, thematisiert er ein durchaus historisch sedimentiertes Spannungsfeld. Gleichzeitig negiert er den Illusionismus, also die fiktive Bündelung der Sehstrahlen auf einer Leinwand und damit ein maßstäbliches Abbildungsverfahren wie es der italienische Humanist und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti in seinen neuzeitlichen Traktaten einforderte. Das Oeuvre von Kressnig folgt strikt den Regeln der Abstraktion und revidiert damit nicht wie so viele andere zeitgenössische Künstler den Bruch der Moderne mit den bis dahin geltenden Darstellungskonventionen. Kressnigs Ästhetik, die auf eine geometrische Formensprache reduziert ist, stellt Beziehungen zwischen Körpern, Flächen und Linien her. Gegensätze wie transparent und opak, glatt und rauh, fragil und stabil, warme und kalte Materialien wie Holz und Glas gehen ein prekäres Gleichgewicht zwischen Konzept und Intuition ein. Der Künstler, der in Wien lebt und arbeitet und bei Gunter Damisch an der Akademie der bildenden Künste studierte, thematisiert die grundlegenden Parameter der Kunst und stellt sowohl ihre Abbildungsfunktion als auch ihren referenziellen Charakter als Zeichensystem in Frage. Die Verbindung von Raum, Werk und Rezipient erhalten hingegen höchste Priorität.

Der Titel der zweiteiligen Arbeit „Timber“ kommt vom Altholländischen ,timberen‘, was so viel wie zimmern, in Relation bringen, bedeutet. Doch Kressnig zimmert nicht. Seine Arbeit, die eine gewöhnliche Malerei und einen singulären Betrachterstandpunkt ablehnt, könnte man als minimalistisches Kunstbauen beschreiben, das den Bildstatus von Kunst hinterfragt und im Prozess der Wahrnehmung Gestalt annimmt.

Die rautenförmige Arbeit „#kressnig“ gehört genauso wie die Riegelkonstruktion, ein Element von „Timber“ zu der Serie der sogenannten „Systemkörper“, die auf quadratischen Längskörpern basieren und die der Künstler seit 2014 produziert. Sie bestehen aus 13 verschiedenen Holzarten – Abfallstücken, die er sammelt, wie Teile eines Baukastensystems zusammensteckt, hobelt, poliert und ölt. Der eine Teil von „Timber“, der auf dem Boden liegt, betont die Horizontalität mittels einer fragilen Installation aus Zylinder, Ebene und Gerade und lässt an den US-amerikanischen Bildhauer Carl Andre denken, der die Kunst einmal als Ausschluss von allem Nicht-Notwendigen beschrieben hat. Der andere Teil, der an der Wand angebracht ist und die Farben des Bodenelements wiederholt, hebt als zweites Element innerhalb eines Werkverbunds die Vertikalität des kartesischen Koordinatensystems hervor. Die Verschränkung und Betonung dieser zwei räumlichen Achsen verweist auf die alltägliche Dominanz der Orthogonalität, ihren Einfluss auf die Architektur, die Haltungen des Menschen und dessen körperliche Verortung– die aufrechten Positionen wie Stehen und Gehen, das Sitzen, die Entspannung im Liegen.

Timber“ demonstriert also einerseits den Umgang des Künstlers mit dem Raum, dem White Cube, und die Orientierung des Betrachters innerhalb dieser abstrakten Entität. Andererseits zeigt es, wie der Bildhauer mit Farbe umgeht. Sie hat im Oeuvre von Kressnig nämlich nicht die Funktion eines Ausdrucksträgers, sondern organisiert die Fläche, deren Komposition der Künstler a priori in diversen Skizzen in Gouachetechnik festgelegt hat. In homöopathischen Dosierungen trägt er dann Acrylfarbe in Pastelltönen wie rosé, hellblau, lindgrün, grau in Schichten auf den Halbkreidegrund auf: Er malt Streifen in rhythmischen Abständen, setzt die Bildstruktur in ein Verhältnis zu den Maßen des Werkes, öffnet das Bildgeviert nach oben, unterbricht monochrome Farbflächen mittels Auslassungen und variiert die Erscheinungsweise der Oberfläche durch unterschiedliche Reflexionsgrade. Kressnigs Kunstwerke, die Flächen zu Körpern und Körper zu Flächen werden lassen, sind immer (Wand-)Objekte und erinnern formal an die „Specific Objects“ von Donald Judd. Sie definieren auch einen spezifischen Raum, der die Leere des Dazwischen visualisiert. Zwei- und Dreidimensionalität werden als gleichberechtigte ästhetische Optionen zur Disposition gestellt und aus ihrer medialen Bedingtheit entlassen. Die Wahrnehmung des Betrachters und die Konzentration auf den Ort und den Moment spielen für die Bedeutungskonstitution der Arbeiten eine wichtige Rolle. Dies zeigt auch die fotografische Serie „Werken“, ein work in progress, die der Künstler 2014 initiierte: Er bittet Atelierbesucher ein Stück seiner Vierkanthölzer in die Hand zu nehmen und es vor der Kamera zu präsentieren, während er die Pose fotografiert. Auch hier beobachtet Kressnig also wieder das Verhältnis von belebten und unbelebten Körpern zueinander, wie Personen Dinge unterschiedlich begreifen, sie als Alltagsgegenstände genauso wie heilige Kunstwerke behandeln. In der ästhetischen Erfahrung entsteht in Eric Kressnigs Oeuvre Kunst als Resonanzraum, Erkenntnis ohne Abbild, ein Werk – kein Bild.